Anwalt nimmt Basler Polizei ins Visier
"Finden Sie es besser, wenn man das einfach unter den Tisch kehrt?"
Unwahrheiten von Richtern und Polizeigewalt, die bewusst vertuscht werden soll. Jurist Andreas Noll erklärt im Interview, was neue Videos vom 24. November 2018 rund um eine Demonstration ändern könnten.
Mirjam Kohler

Im Auftrag der linken Aktivistinnen und Aktivisten des «Grauen Blocks» hat der Basler Anwalt Andreas Noll Strafanzeigen gegen die Polizei und die Staatsanwaltschaft eingereicht. Es geht – einmal mehr – um die Ereignisse vom 24. November 2018, als in Basel Tausende unter dem Motto «Basel nazifrei» gegen einen Aufmarsch der rechtsextremen Kleinstpartei Pnos demonstrierten.
Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrierenden. Diese müsse man nach neusten Erkenntnissen völlig neu beurteilen, sagt der Anwalt. Auch der Staatsanwaltschaft macht er schwere Vorwürfe: Sie soll bewusst Videos zugunsten der Polizei manipuliert haben.
Herr Noll, Sie haben wegen des Polizeieinsatzes bei der «Basel nazifrei»-Demonstration gegen Polizei und Staatsanwaltschaft Anzeige eingereicht. Warum dieses Eskalationslevel?
Ich habe als Anwalt einen Auftrag erhalten. Strafrechtlich relevantes Fehlverhalten staatlicher Behörden muss nicht nur genauso, sondern erst recht aufgeklärt werden. Oder finden Sie es besser, wenn man das einfach unter den Teppich kehrt?
Sie erheben happige Vorwürfe. Bewirtschaften Sie als involvierter Strafverteidiger damit Ihre eigene Klientel?
Ich erhebe nicht happige Vorwürfe, sondern das Verhalten der Beanzeigten ist happig. Warum sollte ich da meine eigene Klientel bewirtschaften? Ich habe den Auftrag nicht von einem meiner Klienten im «Basel nazifrei»-Komplex erhalten. Die Fälle, in denen ich Menschen wegen Vorwürfen rund um «Basel nazifrei» vertrete, machen nur einen kleinen Bruchteil meiner Mandate aus. Im Übrigen vertrat und vertrete ich auch Polizisten. Da unterstellen Sie mir etwas.
Sie sagen, die veröffentlichten Videos würden beweisen, dass die Gewalt von der Polizei ausging. Diese Videos decken aber nicht die ganzen Abläufe dieses Tages ab. Was sagen Sie dazu?
Das ist richtig. Aber unter Einbezug der anderen Videos erscheint das veröffentlichte Video als repräsentativ für die gesamten Abläufe des Tages. Entscheidend für die Beurteilung, ob der fragliche Mitteleinsatz rechtmässig war, ist, ob sich die Polizei in einer Notwehrsituation befand. Dann hätte sie aus einer Distanz von weniger als 20 Metern Gummischrot einsetzen dürfen. Das Video belegt, dass dies nicht der Fall war. Ein weiteres Video zeigt, dass es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver handelte. Bei diesem Video wurde im Zusammenschnitt des Videomaterials für die einzelnen Beschuldigten – gemäss Angabe des zuständigen Staatsanwalts – durch die Kriminalpolizei die Tonspur entfernt. Auf dieser ist zu hören, dass die Polizei zuerst geschossen hat und dass es sich dabei um ein Manöver handelte, um vom Abzug der Pnos abzulenken.
Was macht es für einen Unterschied, von wem die Gewalt ausging?
Wenn die Polizei auf einen Angriff unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit reagiert, verteidigt sie letztlich unser oberstes, für alle geltendes Gesetz, unsere Verfassung. Diese gilt auch für die Polizei. Jeder Polizeibeamte verpflichtet sich durch das Ablegen des Gelübdes der Verfassung. Wenn die Gewalt von der Polizei ausgeht, dann wird nicht mehr die Verfassung verteidigt, sondern gravierend gegen sie verstossen. Es handelt sich dann um nicht zu rechtfertigende Polizeigewalt.
Mit dem Vorwurf, dass die Stawa manipulierte Videos als Beweisstücke eingesetzt habe, schwingt auch der Vorwurf an das Strafgericht mit, dass man nicht genau genug hingeschaut habe. Ist das Ihr Eindruck?
Das Manipulieren von Beweismitteln und deren Verwendung ist unabhängig davon strafbar, ob sich ein Gericht dadurch täuschen liess. Die angesichts der Masse des Videomaterials bestehende, durchaus erhebliche Gefahr, dass sich das Gericht dadurch hätte täuschen lassen können, rechtfertigt die Strafbarkeit solchen Verhaltens.
Weitere Videoaufnahmen oder Funkprotokolle, die dem Gericht wohl vorliegen, dürften ein vollständiges Bild zeigen, was an diesem Tag wirklich passiert ist. Warum sollte eine externe Untersuchung zu einem anderen Schluss kommen als das Basler Gericht?
Die Funkprotokolle liegen den Gerichten nicht vor. Darum wurde in der Strafanzeige deren Beizug beantragt. Das Strafgericht prüfte nie die Vorwürfe gegen Polizei und Staatsanwaltschaft, sondern nur die Vorwürfe gegen die Demonstrationsteilnehmenden. Eine Untersuchung würde also zum ersten Mal versuchen, diese Vorwürfe aufzuklären. Die Urteile des Gerichts gegen die Demonstrierenden würden dabei nicht neu beurteilt. Wenn die Basler Staatsanwaltschaft diese Vorwürfe gegen sich selbst untersuchen würde, wäre das ein Paradebeispiel der Befangenheit.
Der Vorwurf der Befangenheit ist in dieser Angelegenheit nicht neu …
Ja. Es sind zahlreiche Ausstandsbegehren gegen das Basler Strafgericht wegen institutioneller Befangenheit bei der Beurteilung der «Basel nazifrei»-Fälle seit über einem Jahr beim Basler Appellationsgericht hängig. Dort wurde zum Beispiel geltend gemacht, dass alle Fälle in einem einzigen Prozess hätten beurteilt werden müssen. Sonst sei kein faires Verfahren für alle möglich. Überdies hat sich ein Gerichtspräsident in einem BaZ-Interview Ende September 2020 in Absprache mit seinen Kolleginnen und Kollegen zu den Prozessen geäussert. Darin sagte er, dass auf den Videos zu sehen sei, wie von einer Gruppe von Demonstranten Büchsen und Steine gegen die Polizeikette flögen. Die Polizei habe dann mit Gummischrot geantwortet. Diese Aussage betrifft den für die rechtliche Beurteilung hochrelevanten Ablauf der Ereignisse und ist durch die jüngst öffentlich gewordenen Videos klar widerlegt worden.
Was bedeuten diese angestossenen Verfahren gegen die Behörden für die Fälle, bei denen Berufung eingelegt wurde, über die also das Appellationsgericht noch einmal entscheiden muss?
Das ist eine schwierige Frage. Ich möchte betonen, dass es sich bei der Anzeigestellerin nicht um eine in den «Basel nazifrei»-Prozessen beschuldigte Person handelt. Mit der Anzeige ging es nicht darum, die Berufungsverfahren zu beeinflussen. Sondern darum, den dringenden Verdacht auf strafbares Verhalten von Polizei und Staatsanwaltschaft zu untersuchen. Ich bin der Meinung, dass nun als Erstes das manipulierte Beweismaterial aus den Akten entfernt werden müsste. Es müsste ersetzt werden durch die Videozusammenschnitte, bei denen der Originalton noch vorhanden ist. Es wäre untragbar, wenn das manipulierte Beweismaterial bei den Akten bliebe. Die Staatsanwaltschaft hätte diesen Schritt schon längst tun müssen, sobald ihr bewusst geworden ist, dass die Tonspur im Zusammenschnitt fehlt.
Was erwarten Sie sich vom Prozess, den Sie mit diesen Anzeigen losgetreten haben?
Das Verfahren wurde durch die Delikte, die angezeigt wurden, losgetreten. Ich erwarte, dass die Anzeigen unabhängig und ergebnisoffen untersucht werden, ohne dass – ausgesprochene oder unausgesprochene – Zielvorgaben verfolgt werden, nur weil die Beschuldigten nicht Kleinkriminelle, sondern Polizei und Staatsanwaltschaft sind. Artikel 8 der Bundesverfassung schreibt vor, dass alle Menschen vom Gesetz gleich zu behandeln sind. Ich erwarte nichts anderes als Recht: rechtsgleiche Rechtsanwendung für alle.
Mirjam Kohler ist News-Redaktorin und Gerichtsreporterin in Basel.Mehr Infos
Publiziert 21.12.2021
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