bzbasel, 5. Mai 2022
Im Coronajahr 2020 demonstrierten Baslerinnen und Basler gegen den Agrochemiekonzern Syngenta und für Frauenrechte. Die Polizei griff in beiden Fällen durch, die Verfahren landen nun vor Gericht. Dabei ist unklar, ob der Strafprozess hier der angemessene Weg ist.
Silvana Schreier
04.05.2022, 18.33 Uhr
Der «March against Syngenta» im April, die unbewilligte 1.-Mai-Demo, der Frauenstreik am 14. Juni, eine weitere «Basel nazifrei»-Kundgebung am 1. Juli. Was haben diese Termine gemein? Sie fanden allesamt im Coronajahr 2020 statt – und sie haben für die Beteiligten ein strafrechtliches Nachspiel. Dieses wird sich noch mehrere Wochen, wenn nicht Monate hinziehen.
Am Dienstag sprach das Basler Strafgericht eine Frau frei, die aufgrund ihrer Teilnahme am Frauenstreik 2020 eine Busse über 100 Franken erhielt. Der Grund: Sie habe gegen die damals geltende Covid-19-Verordnung verstossen. Ebenso 279 andere Personen, von denen die meisten die Busse bezahlt haben.
Urteil wirft Fragen auf
Das Gericht hielt fest, die Beweise der Staatsanwaltschaft reichen nicht für eine Verurteilung aus. Verteidiger Christian von Wartburg präzisiert: «In den Akten hatte es weder einen Polizeirapport noch Fotos, die beweisen würden, dass meine Mandantin überhaupt je auf der Johanniterbrücke kontrolliert worden war. Auch wurde sie nicht vorgeladen oder befragt.» Das Gericht nahm dies zum Anlass für den Freispruch.
Damit hat der Fall aber nur bedingt Signalwirkung auf weitere Strafverfahren. Von Wartburg: «Es kann gut sein, dass es in anderen Fällen mehr Akten gibt und dann die Frage der Strafbarkeit auch rechtlich von einem Gericht entschieden werden muss.» Eindeutig ist aber: Das Urteil wirft bezüglich der Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft Fragen auf.
Nur die Spitze des Eisbergs
Und damit kommen automatisch Erinnerung an die über 30 Prozesse auf, die gegen Teilnehmende der «Basel nazifrei»-Demonstration im November 2018 geführt wurden. In mehreren Fällen haben die Beteiligten das Verfahren unterdessen an die zweite Instanz, das Appellationsgericht, weitergezogen.
Gleichzeitig laufen Untersuchungen gegen die Polizei und Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang: Ein externer Staatsanwalt analysiert die Arbeit der hiesigen Behörde; die Basler Staatsanwaltschaft hat derweil den Auftrag, das Vorgehen der Polizei anzuschauen. Damit ist auch hier das strafrechtliche Nachspiel noch nicht abgeschlossen.
Wie die bz weiss, kommt in den nächsten Wochen und Monaten eine weitere Prozesswelle zu Demonstrationsfällen auf die Basler Justiz zu. Denn die Busse vom Frauenstreik 2020 war nur die Spitze des Eisbergs. Kommende Woche stehen vier Personen vor Gericht, die im April 2020 den «March against Syngenta» organisiert haben.
Livestream statt Demonstration
Nicola Goepfert, Präsident der Plattform «March against Syngenta», Geschäftsführer des Verbands der Zivildienstleistenden Civiva und Basta-Vorstandsmitglied, ist einer davon und erzählt: «Aufgrund der Pandemie wollten wir keine normale Demonstration wie sonst durchführen. Wir riefen die Leute darum auf, sich online zu beteiligen.» Anstelle der bis zu 2000 Teilnehmenden im öffentlichen Raum war er einer von vier Personen, die mit einem kleinen Wagen, Bannern und Lautsprechern die Kundgebungsroute abliefen. Die Aktion streamten sie live auf der Website und in den sozialen Medien. Die übrigen Teilnehmenden verfolgten dies von zu Hause aus.
Mit vier Teilnehmenden entsprach die Gruppe der geltenden Covid-19-Verordnung, die maximal fünf Personen erlaubte. Unterwegs kontrollierte die Polizei das Grüppchen gleich zweifach. Beide Male nahmen die Beamten die Personalien auf, die Demonstrierenden filmten die Kontrolle aufgrund es anhaltenden Livestreams.
Vier Strafbefehle wegen kleiner Demo
Im Anschluss lancierte die Staatsanwaltschaft gegen die vier Personen eine Strafuntersuchung wegen «mehrfacher Verletzung des Geheim- und Privatbereichs durch Aufnahmegeräte» zum Nachteil mehrerer Polizisten. Die Dokumente liegen der bz vor. Da der Straftatbestand aber nicht erfüllt war, wurde das Verfahren eingestellt.
So weit, so gut. Jedoch flatterte im Januar 2021 dann je ein Strafbefehl wegen «Anstiftung zu Hinderung einer Amtshandlung, Diensterschwerung und mehrfacher Übertretung gegen die Covid-19-Verordnung» in die Briefkästen der Beteiligten. Sie sollten eine Geldstrafe und Busse von insgesamt 1105.30 Franken bezahlen. Gegen die Strafbefehle geht die Gruppe nun juristisch vor.
Nicola Goepfert sagt:
«Das Vorgehen vermittelt mir das Bild: Egal, wie wir protestieren, die Staatsanwaltschaft sucht einen Grund, damit wir drankommen.»
Denn die vierköpfige Gruppe habe ja verhindert, dass bis zu 2000 Menschen für die Anliegen von «March against Syngenta» mitten in der Coronapandemie auf die Strasse gehen.
«Das Augenmass zurückgewinnen»
Anwalt Christian von Wartburg blickt besorgt auf die Prozesswelle, auch wenn sie nicht ganz so gross sei wie nach «Basel nazifrei». «Ich möchte nicht, dass junge Menschen a priori Angst haben müssen, ein Strafverfahren am Hals zu haben, wenn sie an einer friedlichen Demonstration teilnehmen.» Die Summe der Jungen, die in den vergangenen Jahren kriminalisiert wurden, sei sehr hoch. Die entstandenen Verfahren würden stark in ihre Biografien eingreifen, so von Wartburg. Er betont, «die Pandemie war eine Herausforderung». Sie habe es auch den Behörden nicht einfach gemacht. Aber: «Wir müssen das Augenmass zurückgewinnen, denn das Strafrecht soll nur als Ultima Ratio zum Einsatz kommen.»
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